Bis zum Ende der Einbahnstraße waren es noch ein paar schöne Tritte und Wendungen um Felsen herum, diesmal zum Genießen.
Und dann begann der längere Abstieg entlang des Gletscherhanges bis auf den Eselsrücken. Dort machte fast jede Seilschaft eine Pause, so auch wir. Ein paar Schlucke trinken und mit ein paar Snacks kräftigen.
Der weitere Abstieg gestaltete sich genauso abwechslungsreich wie der Aufstieg, denn wir wählten die Variante über die Westflanke, dort entlang, wo die meisten anderen Gruppen aufgestiegen waren. Vor allem die letzte Passage nach dem inzwischen sulzig gewordenen untersten Schneefeld, die auf dem ehemaligen Gletschergrund verlief, war sehr besonders: glatt geschmirgelte rundliche Granitfelsen. Wellige Linien im Stein, sanfte Wölbungen, sehr schön zu gehen, kein richtiger Weg, jeder konnte sich seine eigene Spur suchen.
Inzwischen war uns auch richtig heiß, T-Shirt Wetter. Die letzten Meter zur Hütte führten wieder über die verblockten Felsen und um 14 Uhr war es schließlich geschafft. Die Terrasse des Refugio war erreicht. Nun musste noch reichlich nachgetankt werden, denn die strahlende Sonne hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Zwei Liter Wasser waren schnell vertilgt, dann wendeten wir uns der Limonade und unserem geliebten Cappuccino zu.
Die spätere Lagebesprechung beim Essen führte zum Entschluss am nächsten Morgen ins Tal abzusteigen und statt einer Nacht dort zwei zu verbringen. Hier oben gab es für uns nichts Reizvolles mehr zu tun. Den dritten Gipfel in Angriff zu nehmen, das Ciarforon (3600m), hatten wir schweren Herzens schon zwei Tage zuvor ausgeschlossen. Zu gefährlich bei den permanenten Steinrutschen. Dann lieber, vielleicht altersangemessen, regenerativ angelegte Tage, bei guter Verpflegung, zahlreichen Tassen Kaffee, lockeren Spaziergängen, Duschen, Rasieren und die Vorzüge des Mobildatenempfanges ausnutzen. Und so kam es auch, eine Wohltat für Füße und Beine, den gesamten Körper und die Seele. Bei den Spaziergängen noch eine Gämse aus nächster Nähe erspäht und eine Pflanzengalerie angelegt. Schöne Wege, sehr abwechslungsreich und am Umkehrpunkt wieder ein Schläfchen auf einem Steinbett. Herrlich!
Am Abreisetag (Samstag, 2. Juli 2022) hieß es dann mal wieder früh aufstehen. 5:30 Uhr, Frühstück, Angehen zum Auto, Einladen und kurz umziehen, Abfahrt um 7:00 Uhr in Richtung Mailand. Von dort, der Stazione Centrale, einem gigantischen monumentalen und imposanten Bauwerk, sollte es für Klaus und Markus mit dem Zug über Frankfurt nach Minden gehen. Ich war in Villach mit meiner Familie verabredet, wo diese um 18:43 Uhr mit dem Zug ankommen sollte, zwecks gemeinsamer Weiterreise nach Süden, Ziel: unbekannt
Wie wir am Abend erneut feststellten: „Wir lieben es, wenn ein Plan funktioniert“.
Dass ein Plan aber in den Bergen nicht immer funktioniert, ist einmal mehr deutlich geworden.
Bilanz: klimafreundliche An- und Abreise, Begehung eines Schutthügels, Besteigung eines Viertausender Gipfels, Streichung eines schönen, aber unsicheren Gipfels, stattdessen früherer Abstieg mit Regenerationsspaziergängen im Tal bei genussreicher Kost, Wetterextreme, der Mailänder Stazione Centrale, 273 Cappuccini (ca.), Einsicht, dass eine Tourenplanung heutzutage auf den aktuellen Daten beruhen muss und Stabilitätsbedingungen von vor sieben Jahren keine Gültigkeit mehr haben.
Stabilität und Gültigkeit fanden wir aber in unserer Dreierseilschaft, in der es immer hieß „We always take the same steps“. Gemeinsame Schritte wird es sicherlich auch in der Zukunft geben, zu dritt oder verstärkt durch andere Gipfelliebhaber.
Patrick Bathelt